„Disco Boy“, das beeindruckende Debüt von Regisseur Giacomo Abbruzzese, kann als clubbender Vetter von „Beau Travail“ angesehen werden. Wie Claire Denis’ Meisterwerk bietet der Film eine intensive Reise mit der Französischen Fremdenlegion und zerlegt das koloniale Rollenspiel unter wortkargen Männern, deren wahre Sprache die Rhythmen der Nacht sind. Trotz unvermeidlicher Vergleiche steht „Disco Boy“ jedoch eigenständig, pulsierend und tänzelnd auf seinen eigenen Beinen.
Durch die intensiv physische Darstellung von Franz Rogowski wird die Figur des „Disco Boy“ zum Leben erweckt, einem namenlosen Migranten, dessen Identität, Nationalität und sogar sein spirituelles Selbstbewusstsein ständig wechseln.
Rogowski betritt die Leinwand als Aleksei, ein weißrussischer Ex-Häftling, der sich leise seinen Weg durch Polen bahnt, auf der Suche nach einem besseren Leben. Warum Frankreich das ultimative Ziel ist? Nun, pourquoi pas? Aleksei hat rudimentäres Französisch gelernt – „aus Filmen“, wie Rogowski mit seinen seltenen Dialogzeilen erläutert – doch meist folgt er einfach seinem erfahrenen Reisegefährten, Mikhail (Michał Balicki). Die Reise ist jedoch nicht ohne Risiken, und als Aleksei in Gallien landet, ist Mikhail nur noch ein Geist, der den Weg heimsucht. Er wird nicht der letzte sein.
In drei Kapiteln, die jeweils eigenständige ästhetische und formale Ansätze verfolgen, entfaltet „Disco Boy“ eine Geschichte, die der „Club-Logik“ folgt. Diese drei Kapitel führen ebenso viele Gegenspieler ein, deren Interaktion mit Aleksei seinen Weg neu ausrichtet. Als Mikhail einem völlig anderen Gegenspieler in Kapitel Zwei weicht, hat sich auch Aleksei verändert. In einer nicht weniger feindlichen Umgebung als der Weg, der ihn dorthin geführt hat, wird aus dem Migranten Aleksei der Legionär Alex. Wer weiß, vielleicht wird er nach fünf Jahren treuem Dienst sogar französischer Staatsbürger.
Lange bevor Abbruzzese Kapitel Drei auf einer wahrhaftigen Tanzfläche eröffnet, pulsiert „Disco Boy“ vor bedrohlicher nächtlicher Energie. Ob er nun als Aleksei durch einen waldigen Unterlauf der Karpaten streift oder seinen Körper dem militärischen Training als Alex unterwirft, Rogowski bewegt sich zu einem unaufhörlichen Puls – einem tiefen und bedrohlichen Elektro-Score, geliefert vom französischen Produzenten Vitalic.
Trotzdem könnte das immersive visuelle und intellektuelle Spektakel des Films vielleicht zu früh seinen Höhepunkt erreichen. Kapitel Zwei führt uns ins Feld, auf Mission mit Alex und seiner Einheit im Nigerdelta. Zum ersten (und einzigen) Mal verlässt die Kamera von Abbruzzese den Protagonisten und konzentriert sich stattdessen auf Jomo (Morr Ndiaye), einen lokalen Rebellen, der Guerilla-Angriffe gegen internationale Ausbeuter führt.
In einer ebenso runden wie rauen Art und Weise konfrontiert uns der Regisseur mit der vertrauten und paradoxen Frage: Wie filmt man Krieg, ohne ihn zu verherrlichen? Als Antwort auf diese Frage greift Abbruzzese zur Klinge und durchschneidet einfach den Knoten. Mit weiten, aus dem Hubschrauber gefilmten Panoramen zeigt „Disco Boy“ unmissverständlich den Nervenkitzel solcher militärischer Abenteuer und verschont uns nicht vor der schrecklichen moralischen Bilanz.
Diese Glocken läuten bis zum Ende. Wieder in Frankreich für Kapitel drei und seine Sorgen in einer schicken Pariser Diskothek ertränkend, trifft Aleksey-cum-Alex zufällig auf Adoka (Laëtitia Ky). Wer ist diese neueste Tanzpartnerin? Ist sie eine Frau mit Verbindungen zur nigerianischen Mission oder eine reine Manifestation der Schuld eines Soldaten?
Trotz einiger Erzählungsschwächen gegen Ende bleibt „Disco Boy“ ein stilistisches Feuerwerk, das einen aufstrebenden neuen Regisseur ankündigt, der definitiv das Zeug zum Tanzen hat.