Eine junge Frau sitzt in einem grauen Büro, eingezwängt an ihrem Schreibtisch im Cubicle, während Fox News verkündet, dass Donald Trump gerade den FBI-Direktor James Comey entlassen hat, angeblich wegen seiner Untersuchungen, wie die russische Einmischung in die Präsidentschaftswahl 2016 wahrscheinlich zugunsten des 45. Präsidenten wirkte. Fünfundzwanzig Tage später kommt dieselbe Frau zurück zu ihrem Haus in Augusta, Georgia, um zwei FBI-Agenten mit einem Durchsuchungsbefehl für ihr Eigentum vorzufinden. Sie wirkt nicht überrascht. Innerhalb von 80 Minuten wird dieses ehemalige Mitglied der Luftwaffe und NSA-Übersetzerin die härteste je verhängte Strafe für die unautorisierte Weitergabe von Regierungsinformationen an die Medien erhalten.
Die Frau – blondes Haar zu einem Dutt gebunden, Jeansshorts, eine frische und bescheidene Ausstrahlung – ist Reality Winner (ein ironischer Name, alles in Betracht gezogen). Tina Satters faszinierendes Regiedebüt nimmt ihre schockierende Indiskretion und spinnt daraus eine Art Horrorfilm über die Auswirkungen des Richtigen Tuns angesichts des Überwachungssystems der Vereinigten Staaten: eine David-und-Goliath-Geschichte, bei der die stärkere Macht die Steine direkt ins Gesicht des Underdogs schleudert. „Reality“ ist nicht nur einfallsreich inszeniert und außerordentlich spannend, sondern beweist auch über 85 straffe Minuten hinweg etwas, was wir im Innersten bereits wussten: Sydney Sweeney ist echt.
Basierend auf ihrem eigenen Off-Broadway-Stück „Is This A Room“ übernimmt der Film – in einer genialen Entscheidung, die auch im Theaterstück verwendet wurde – seinen Dialog direkt aus einem 107-minütigen Audio-Transkript vom 3. Juni 2017, in dem die Agenten Wallace Taylor (Marchánt Davis) und Justin Garrick (Josh Hamilton) Winner wegen des Verdachts auf unsachgemäßen Umgang mit geheimen Informationen befragten. „Reality“ nähert sich mit surrealistisch unbeholfenen Gesprächen allmählich seiner großen Enthüllung und ist fesselnd und vielschichtig. Es zeichnet sowohl die unangenehm genialen Verhörtaktiken des FBI als auch Sweeneys außergewöhnliches schauspielerisches Können nach.
Im Zentrum der merkwürdigen und mitreißenden Anziehungskraft des Films steht Winner selbst, die sowohl eine gewöhnliche Amerikanerin als auch ein außergewöhnliches Rätsel ist. Sie ist patriotisch, sportlich, unterrichtet Yoga, pflegt Hunde, hat militärische Verbindungen und ein Kruzifix an ihrer Wand. Sie spricht fließend Farsi, Dari und Pashto, besitzt drei Waffen (einschließlich eines pinkfarbenen AR-15-Sturmgewehrs) und einen heiligen Koran mit pinkfarbenen Post-Its verziert. Sie ist freundlich, kooperativ und amerikanisch, was ihre Geschichte nur umso fesselnder macht. Es geht nicht um die Verherrlichung von Spionage: Wenn sie sagt, dass sie „nicht versucht hat, ein Snowden oder so etwas zu sein“, glauben wir ihr.
Wir begleiten Winner auf dem, was im Grunde sowohl ein Kammerspiel als auch ein Thriller in einem einzigen Raum ist: drei Charaktere, steigende Spannung, zunehmende Verzweiflung. Während die FBI-Agenten versuchen, Winners Nerven durch höfliche Gespräche und ruhiges Verhalten zu beruhigen – wenn „ruhiges Verhalten“ bedeutet, sich so zu verhalten, als ob man gerade erfahren hätte, dass ein Meteorit auf die Erde zurast, es aber niemandem sagen darf -, erhalten wir in beinahe Echtzeit Einblick, wie Winner dazu gebracht wurde, ihr Verbrechen zu gestehen. Das Verbrechen besteht darin, dass sie aus einem Pflichtgefühl gegenüber dem amerikanischen Volk, das belogen wurde, einen Geheimdienstbericht ausdruckte, in dem erklärt wurde, dass russische Hacker mit einer E-Mail-Phishing-Operation auf die Wählerregistrierungslisten in den Vereinigten Staaten zugegriffen hatten, das Papier in ihre Strumpfhose steckte und es an die gemeinnützige Nachrichtenorganisation The Intercept schickte.
Nachdem sie als flatterhafte, kokette Teenagerin in „Euphoria“ und „The White Lotus“ Anerkennung gefunden hat und in dem intelligenten erotischen Thriller „The Voyeurs“ mitgespielt hat, ist Sweeney mehr als bereit, als Hauptdarstellerin ins Rampenlicht zu treten. Bevor sie in dem kommenden Marvel-Blockbuster „Madame Web“ zu sehen ist, hat sie clever ein Independent-Film gedreht, der ihre außergewöhnlichen Talente und ihre sympathische Art feiert. Wie in „Reality“ und anderswo ist die Schauspielerin einfach so gut darin, so zu wirken, als stünde sie kurz vor einem Nervenzusammenbruch – sie war noch nie glücklicher, vielen Dank – und hier werden ihre subtil errötenden Wangen, die in panischer Verzweiflung zusammenfallen, immer fesselnder, während Satter ihre vergrößernde Kamera in immer enger werdende Nahaufnahmen schwenkt.
Die Debütregisseurin lässt die Ereignisse gleichermaßen beängstigend und absurd erscheinen, mit plötzlichen, beängstigenden Geräuschstößen und verstörendem Schnitt; sie verwendet auch eine interessante Methode, um die geschwärzten Aspekte des Transkripts durch beängstigende, quasi-jumpcuts zu verfilmen. Es zeigt uns ein Verhör, an sich ein Austausch, der für eine filmische Dramatisierung prädestiniert ist, aber hier ohne den Hollywood-Glanz. Da das Skript nahezu wortwörtlich aus dem realen Vorfall übernommen wurde, sind die resultierenden Gespräche in ihrer merkwürdig lebensnahen, faszinierenden Art repetitiv. Indem sie reale Tonaufnahmen und Fotografien einwebt und rekonstruiert, fühlt sich Satters Arbeit fast dokumentarisch an.
Es ist nur eine kleine Geschichte in einem fortwährenden Strom von Korruption in der Trump-Ära, und doch ist Reality Winner allein der Beweis dafür, dass selbst die engagiertesten und patriotischsten Amerikaner von dem halluzinogenen Lärm endloser Fox News-Plappermäuler genervt waren. Angesichts ihrer zunehmenden Hilflosigkeit und Wut über die Vertuschungen der Regierung und ihrer Insider-Sicht auf die Wahrheit ist es leicht zu verstehen, wie sie letztendlich die Nerven verloren hat und jahrelange sorgfältige Arbeit zur Aufrechterhaltung der streng geheimen Sicherheitsfreigabe zunichte gemacht hat.
Und während dies vielleicht das brutalste Beispiel für das alte Sprichwort „Denunzianten haben nichts zu lachen“ ist (Winner wurde zu fünf Jahren und drei Monaten Gefängnis verurteilt), zeigt Satter behutsam die steigende Spannung und den Wahnsinn hinter dem ganzen Debakel mit einer frischen Perspektive: keine bloße Gimmick, sondern ein einzigartiger, handlicher Blick auf das gesättigte Genre der Whistleblower-Thriller.