Aksak Maboul präsentiert mit „Une Aventure de VV (Songspiel)“ eine vermeintliche Abkehr von ihren bisherigen Veröffentlichungen durch den deutlich theatralischen Charakter des Albums. Es wurde auf Marc Hollanders Made-to-Measure-Experimentalkomponisten-Serie auf seinem Label Crammed Discs veröffentlicht, um diesen Aspekt zu betonen. Dabei nutzt die Band ihre wild-eklektische Klangpalette, um weniger unmittelbare, aber dennoch äußerst lohnenswerte Ergebnisse im Vergleich zu ihren Vorgängeralben zu erzielen.
Inspiriert von experimentellen Hörspielen wie jenen, die einst von der BBC Radiophonic Workshop oder dem deutschen Hörspiel produziert wurden, verbindet die surrealistische Erzählung des Albums Elemente aus Tarkovskys „Stalker“ und den Werken der Brüder Strugatsky mit Aspekten von „Alice im Wunderland“ und Jean Cocteaus „Orphée“. Die Hauptfigur VV verlässt ihr Zimmer durch ein Fenster und lässt dabei die Fähigkeit zur Sprache hinter sich. Sie begibt sich auf eine Reise, während der sie mit nicht-menschlichen Wesen wie Vögeln, Bäumen und Felsen spricht, eine riesige Mauer zerstört und in eine Todeszone eintaucht, die „jenseits aller Karten“ existiert.
Die Erzählung des Albums erfolgt in einer Mischung aus Französisch, Englisch und Spanisch, wobei eine Begleitbroschüre Übersetzungen liefert. Die Narrative ist poetisch und fantastisch anspielungsreich. Dies ist zweifellos von Vorteil für englischsprachige Hörer wie mich selbst, aber es ist auch angemessen, da das Album seine hypnotische Wirkung vor allem durch eine skulpturale Verwendung von Klang erzielt, anstatt primär auf Worte zu setzen, um eine lineare Abfolge von Bildern heraufzubeschwören.
Von einem „Abweichen“ in Bezug auf eine Veröffentlichung von Aksak Maboul zu sprechen, einer Band, die bekanntermaßen stets abweichend agiert, mag etwas irreführend sein. Das Album nutzt dieselben vielfältigen Elemente, die die Gruppe bereits während ihrer mehr als vier Jahrzehnte langen Karriere eingesetzt hat (Elektronik, Krautrock, klassische Kammerorchesterklänge, improvisierter Jazz, Balkanfolk, traditionelle türkische Musik und Satie-eske Motive, um nur einige zu nennen). Es erzeugt jedoch eine spürbare atmosphärische Verschiebung, indem es andere Elemente als bei „Figures“ hervorhebt. Auch auf jenem Album gab es mehrere Momente einer theaterähnlichen Erzählung, wie etwa das wunderbare „Dramascule“. Der eigentliche Unterschied hier besteht jedoch darin, dass die aktuelle Veröffentlichung auf sofort erkennbare Melodien wie „Spleenétique“ oder „Un Caid“ verzichtet und stattdessen eine subtil einhüllende Klangwelt präsentiert, die umso faszinierender wird, je mehr Zeit man mit ihr verbringt.
Die ersten drei Tracks des Albums zeichnen ein Bild von VV’s Reisebeginn in lebendig-imagistischen Strichen – den nebulösen Klängen des traumhaften „The Escape“, dem beharrlichen, stufenartigen Klaviermotiv von „I Walk & I Walk“ und der losgelösten, leicht beunruhigenden Atmosphäre von „Miracle au Jardin“. Wenn dann der quietschende, zitternde elektronische Beat des früh herausragenden Tracks „La Tempête“ einsetzt, wird klar, dass VV sich nicht mehr in Kansas befindet. Weitere Highlights sind die an Steve Reich erinnernde, klingelnde Percussion von „Talking With the Birds“, das Zusammentreffen von Erik Satie und Rock in Opposition in „L’ombre double“, das treibende und jazzige „Dans les airs“ und der emotional erhebende Abschluss „Brown Dwarfs“. Doch eigentlich ist dieses Album ein Werk, in das man sich von Anfang bis Ende verlieren kann – eine Reise in eine Klangwelt, die ganz Aksak Maboul und keinem anderen gehört, fremdartig und dennoch einladend. Auch die beteiligten Kollaborateure fühlen sich in diesem phantasmagorischen Universum ganz zu Hause, vielleicht nicht überraschend, da Aksak Maboul, Family Fodder, Stereolab und Aquaserge alle ähnliche klangliche Territorien besetzen. Dies ist ein Album, bei dem der Hörer sich auf eine gemeinsame Reise einlassen muss. Setzen Sie Ihre Kopfhörer auf, dimmen Sie das Licht und lassen Sie sich treiben, wohin es Sie führt.