Wer mit den früheren Werken von Fever Ray und The Knife, Karin Dreijers früherem Projekt, vertraut ist, wird wahrscheinlich auf eine Herausforderung vorbereitet sein. Wie das zweite Album der Künstlerin, das nachdenkliche und politische „Plunge“, stellt das neue Werk „Radical Romantics“ eine Kampfansage dar. Diesmal dekonstruiert Dreijer Ideen und entwirrt das Bündel an Bedeutungen, das in den Mythos der Liebe einfließt.
Audio- und visuelle Elemente treten hier als untrennbar und gleichzeitig unverzichtbar auf. Das markante Cover zeigt Dreijer in einem Herrenanzug. Graues Haar und faltige Haut lassen auf Todhaftigkeit schließen, der direkte Blick entfacht jedoch Zuneigung. In Verbindung mit dem Titel ruft es unweigerlich romantische Konzepte wie „bis dass der Tod uns scheidet“ hervor, lässt jedoch vor allem einen rebellischen Standpunkt vermuten.
Musikalisch hat Dreijer die richtige Sprache gewählt, um Bedeutungen zu vermitteln, die von Klischees wie Geschlechterbinaritäten, sozialen Einheiten, religiöser Interpretation usw. verdunkelt werden. Die fremdartige elektronische Textur ist von androgynem Gesang durchdrungen, der Dreijers genderfluide Identität zum Ausdruck bringt. Es ist eine Formel, die bereits auf den Alben von The Knife verwendet wurde und hier mit Hilfe von Karens Bruder und ehemaligem Mitglied des Duos, Olof Dreijer, der die ersten vier Tracks auf „Radical Romantics“ mitproduziert hat, wieder auftaucht (die lange Liste der Mitwirkenden umfasst auch Trent Reznor und Atticus Ross von Nine Inch Nails sowie die portugiesische Produzentin Nídia, um nur einige zu nennen). Obwohl das Album generell unter dem Dach der elektronischen Musik angesiedelt ist, schöpft es aus verschiedenen Quellen: schwindelerregender Pop auf „Carbon Dioxide“, düsterer Duran Duran-meets-Magazine-artiger New Wave auf „Even It Out“ und ambientes Auf und Ab auf dem Abschlusstrack „Bottom Of The Ocean“. Im Vergleich zum vorangegangenen Album „Plunge“ ist dieses neue Album abenteuerlustiger und versucht möglicherweise, vielfältige und emotional anspruchsvolle Erfahrungen einer Beziehung heraufzubeschwören.
Je nach Hörerfahrung und Erwartungen kann „Radical Romantics“ genauso unbequem wie zugänglich empfunden werden. Das Album behandelt sein Thema mit einer Haltung, die Selbstbewusstsein und Akzeptanz ausstrahlt. Im Strudel des Klangs auf „Carbon Dioxide“ macht Dreijer seine Position deutlich: „Pour yourself out of the sea / Softest syrup over me / Sipping a sparkling tumour / Wish me courage, strength and a sense of humour.“ Abgesehen von den eloquenten Metaphern ist dies ein dringend benötigtes Gegengift zu einer kompromisslosen Welt, die von Hierarchie und Ungleichheit geleitet wird.