Das Label Muscut, das sein 11-jähriges Jubiläum feiert, beschreibt seine musikalischen Interessen als ‚Pseudo-Archäologie‘. Auf ihrer Website kann man ein gefälschtes Foto sehen, das die Entdeckung einer Kassette bei einer Ausgrabung zeigt. Ihre Veröffentlichungen konzentrieren sich sowohl auf die Musik als auch auf die Qualität des Klangs selbst – wie die Ausrüstung und die Methodik Einfluss auf Textur und Klangfarbe nehmen, welche Nebeneffekte das Medium hat und welche Auswirkungen analoge Instrumentierung haben kann.
Wenn man den Katalog betrachtet, findet man Hinweise auf meditative Strukturen, Jagdschleifen oder spezifische archaische Klänge. Nikolaienko verwendet einen Kassettenrekorder und einen alten Tonbandgerät, um Musique concrète, Schleifen und pulsierende Motive auszubalancieren. Nikolaev erschafft faszinierende Synthesizer-Passagen, während Eyot Tapes Kassettenloops, Federhall, Tape-Delays und einen modularen Synthesizer einsetzt. Dadurch entstehen neblige Kompositionen, die mit Delay-Effekten und Hall angereichert sind und häufig auf wirbelnden Schleifen basieren.
Bryozone, das Projekt der in Odessa ansässigen Klangkünstlerin Ganna Bryzhata, folgt einem ähnlichen Pfad. Bislang hat sie zwei EPs im Jahr 2016 veröffentlicht, spielt aber auch Bassgitarre und erschafft psychedelische Dub-Trips im Trio Chillera. Eye of Delirious bietet transzendente und traumhafte Landschaften und erzählt eine eigenartige Geschichte. Aufgrund seiner Atmosphäre fällt es schwer, es von Odessa zu trennen, einem sonnigen Ferienort, der als das Schwarzmeer-Paris oder die „Stadt der Träume“, wie Charles King schrieb, bekannt ist.
Bryzhata hat ein heterogenes Album aufgenommen, das gelegentlich ein wenig an die flüchtige Atmosphäre erinnert, die William Basinski oder Philip Jeck in ihren Loop-Stücken erzeugen. Ihre nebligen Ambient-Stränge in ‚Smoothy Flow‘ erinnern an das Gefühl des Verfalls, das in der Musik der beiden genannten Komponisten präsent ist, und tendieren zu monotonen impressionistischen Wellen, wie in ‚Ambiency‘. In ‚Glowing Sirens‘ verwandelt sich die störgeräuschige Melodie in metallischen Ambient und erzeugt einen gespenstischen Klang, der etwas vage Identifizierbares nachahmt. ‚Sequence One‘ erinnert mich an eine hängende Schallplatte, ein wiederholtes Stück, ein Artefakt, das Erinnerungen hervorruft.
Allerdings verfällt sie nicht in das offensichtliche Klischee einer nebligen, undeutlichen und impressionistischen Ästhetik – die sorgfältig arrangierten Kompositionen fügen sich zu einem vielfältigen Mosaik zusammen. Sie unterbricht Ambient- und traumhafte Tracks mit betonten Beats. Es gibt Momente, in denen die impressionistische Schwebung in Stil von Deadbeat oder Sun Araw mit Dub-Synth-Beats aufgebrochen wird, wie in dem pulsierenden Trance von ‚Sub Nautica‘. Manchmal neigt sie zu rhythmischen, quasi-tribalen Formen, wie in ‚Ghost of Tribe‘.
Glücklicherweise singt Bryozone nicht und geht auch nicht in eine Dream-Pop-Richtung – dies ist ein nicht offensichtlicher, evokativer, in gewisser Weise visueller und narrativer Soundtrack für die Reise an die Schwarzmeerküste. Oder an andere Orte mitten im heißen Sommer, denn dieses Album mit Fetzen von Rhythmus, Melodien und nebulösen Visionen sonniger Nachbilder fesselt mit einer sehr beeindruckenden und suggestiven Geschichte.