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Divide and Dissolve – SYSTEMIC 

Doom Metal wurde einst von desillusionierten weißen Punks erschaffen, die die industrielle Vorstadt als düstere Hölle darstellten. Doch die Vorfahren von Takiaya Reed und Sylvie Nehill, den Musikerinnen des Duos Divide and Dissolve, überlebten die sehr realen Höllen des kolonialen Genozids. Reeds Wurzeln liegen in den afroamerikanischen und Cherokee (Tsalagi) Gemeinschaften, während Nehill Māori ist. Beide kanalisieren ihr indigenes Erbe in die Schwere ihrer Musik.

War Doom Metal einst Ausdruck von Nihilismus und Auslöschung durch hohe Dosen von psychedelischen Drogen, so geht es bei Divide and Dissolve um Kommunikation und das Durchhaltevermögen des Lebens. Ihr viertes Album „Systemic“ bleibt den Qualitäten treu, die ihr Durchbruchsalbum „Gas Lit“ von 2021 antrieben, zeigt jedoch eine geduldige Entwicklung mit reicherer Instrumentierung.

Die Konzerte der Band werden oft als eine Erfahrung beschrieben, die einen im Innersten bewegt. Dies ist ohne Zweifel eine passende Beschreibung. Die teuflische Kombination aus kraftvollem Schlagzeug, alles verzehrenden Gitarrenriffs und heftigen Saxophonklängen kann das Publikum wie ein starkes Abführmittel durchrütteln. Nehill und Reed halten sich an das Sunn Prinzip, dass „maximum volume yields maximum results“. Aber ihre Musik hat auch eine Verletzlichkeit, Wärme und Offenheit, wie in den Momenten, in denen Takiaya Reed ihre Gitarre gegen das Saxophon tauscht oder mit sanfter Stimme über Rassismus, Toleranz und Dekolonisation spricht.

Eines der überraschenderen Elemente der Band ist die Einbeziehung von Poesie. Geschrieben vom in Venezuela geborenen und in den USA lebenden Dichter Minoru Sanchiz-Fung, erscheinen gesprochene Gedichte auf mindestens einem Track pro Album. Die Verse thematisieren die Abschaffung von Gefängnissen (auf „Basic“ von 2017) und die Gewalt, die durch Sprache ausgeübt wird (auf „Abomination“ von 2018): „By using English,“ schreibt Sanchiz-Fung, „I have let out many violent spirits“.

Das neueste Album „Systemic“ beginnt mit einem dröhnenden Harmonium in ‚Want‘ und wird von traurigen Pfeifen in ‚Blood Quantum‘ begleitet, gepaart mit gewaltiger Gitarre und wankendem Schlagzeug. Das Cembalo, ein Renaissance-Instrument aus der Zeit der großen europäischen Kolonialausdehnung, tritt in der Mitte des Liedes auf, nur um von hämmernden Riffs zermalmt zu werden. Lavagleiche Tempi wechseln nur kurzzeitig zu donnernden Blastbeats in ‚Simulacra‘, kehren dann aber zu einem sich langsam entfaltenden Durchgang zurück. „Systemic“ scheint gegenüber den vorherigen Veröffentlichungen der Gruppe offener für Passagen orchesterähnlicher Schönheit und Freude an der Stille zu sein, wie in ‚Indignation‘ oder dem abschließenden Titel ‚Desire‘. Die Botschaft von Menschlichkeit und Hoffnung, die der Dekolonisations-Doom von Divide and Dissolve vermittelt, gewinnt mit der Beständigkeit und dem Volumen ihrer Arbeit an Kraft. In diesem Sinne ist „Systemic“ nicht weniger erschütternd und erhebend.