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About Dry Grasses – Zwischen Unbehagen und Meisterwerk: Nuri Bilge Ceylans neuester Streich im Gesprächskino

Mit beinahe 200 Minuten Spielzeit ist „About Dry Grasses“ (oder „Kuru Otlar Üstüne“) typisch für den türkischen Virtuosen Nuri Bilge Ceylan. Einmal mehr kehrt er zurück zur eisigen Frostlandschaft, die seine Palme d’Or-gekrönte Arbeit „Winterschlaf“ einrahmte. Die Handlung ist erfüllt von ähnlichen Frustrationen gegenüber Macht in der großen gesellschaftlichen Skala, wobei er dieses Thema in seine Hintergrundszenerie einwebt und stattdessen die dialoglastige und oft unangenehme Erzählung eines Kleinstadt-Kunstlehrers, seiner 12-jährigen Schülerin und einer Anschuldigung in den Vordergrund stellt, die auf der Oberfläche möglicherweise falsch, aber in Wahrheiten verwurzelt ist, die die Kamera einfängt.

„About Dry Grasses“ fühlt sich wie ein geistiger Nachkomme von Nabokovs „Lolita“ an, zumindest in der Nutzung der Erzählperspektive. Ceylans romanhafter Ansatz im Film findet womöglich keinen passenderen Partner als Nabokovs Lyrik – jene Art, die zugleich filmisch im Geist ist und doch höchst schwierig für die Leinwand zu adaptieren ist.

Ceylans Neuester nimmt einen ähnlich einfallsreichen, poetischen Ansatz zu allem, vom Düsteren und Alltäglichen bis zum geradezu Abscheulichen, und filtert eine unangenehme Geschichte von einem Mann, der von ländlichen Frustrationen geplagt wird, durch eine überraschend persönliche Linse. Erst gegen Ende der fast dreieinhalbstündigen Laufzeit spürt man das Gewicht der Laufzeit – ein Nachdruck auf die emotionale Drückende, die zum Schlusspunkt des narzisstischen Monologs des Protagonisten wird.

Wir sehen zuerst Samet (Deniz Celiloğlu), einen mittelalten Kunstlehrer und Teilzeitfotografen, der sich seinen Weg durch eine ländliche Ödnis bahnt. Doch hinter dieser angenehmen, geselligen Fassade versteckt sich eine vielschichtige Figur. Sevim (Ece Bağcı), seine lebhafte und laute Schülerin, ist Samets klarer Favorit. Ihre Darbietung von Sevims fließendem Wechsel zwischen kindlicher Unschuld und einem tieferen, reiferen Verständnis ihrer Lage ist bewundernswert und bewegend.

Der Film zieht die Zuschauer durch die Detailtreue, mit der er die manipulativen Fähigkeiten von Samet darstellt, in seinen Bann. Ceylan erkundet das Thema, wie die Fähigkeiten eines solchen Charakters, sich geschickt und oft unbemerkt zu verändern und anzupassen, auch in anderen Bereichen und auf sozial akzeptiertere Weise zum Tragen kommen könnten.

Die lange, geschmeidige Aufnahme, ein Markenzeichen von Ceylan, ermöglicht jedem Charakter, eine eigene Welt zu erschaffen, und Samet nutzt diese Gelegenheit ohne Zweifel aus. Die Erzählung bleibt jedoch eng an seine Perspektive gebunden, trotz ihrer gelegentlichen Andeutungen einer breiteren physischen und emotionalen Welt.

Das Kunstverständnis und der Blick für die Fotografie, die Samets Perspektive prägen, sind zentral für den Film. Selbst das Kreieren von Bildern wird als Akt des Narzissmus dargestellt, eine Introspektion in Form einer beißenden Selbstkritik.

„About Dry Grasses“ ist ein Paradebeispiel für die Darstellung menschlicher Selbstverliebtheit – nicht in Bezug auf Reichtum oder luxuriöse Opulenz, sondern trotz ihrer Abwesenheit, in Städten wie der, in der sich Samet widerwillig befindet. Es geht um die Ausübung von Macht in kleinen und zerstörerischen Wegen.

Die Kameraarbeit von Ceylan lässt die Tragödie derer, die im peripheren Blickfeld der Kamera nur angedeutet werden, umso stärker hervortreten. „About Dry Grasses“ ist zweifellos eines der am brillantesten abstoßenden Werke, die in den letzten Jahren in Cannes präsentiert wurden.