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Nathan Fake – CRYSTAL VISION 

“Think you’re escaping and run into yourself. Longest way round is the shortest way home” -„Denkst du, du entkommst und läufst dir selbst in die Arme. Der längste Weg ist der kürzeste nach Hause“, schrieb James Joyce in „Ulysses“ von 1922. Ob Nathan Fake eine der Perlen der Moderne gelesen hat, ist letztlich egal, aber „Crystal Vision“ dreht sich genau um dieses Thema: die Vergangenheit verstehen, um die Gegenwart zu begreifen.

Der elektronische Künstler zeigt sich hier von einer nachdenklichen, seltenen Seite. Er taucht ein in seine Geschichte, in die Musik, die ihn geprägt hat und ihn immer noch inspiriert. Ein Teil dieser Reise führt uns zurück zu seiner Beziehung zum wunderbaren Label Border Community von James Holden, einer Art Zufluchtsort. Doch es geht hier um mehr als das. Es geht um Grundsteine und darum, manchmal zu ihnen zurückzukehren, um frischen Atem zu schöpfen. Hier gibt es eine Verneigung vor Aphex Twin und einen Hauch von Boards of Canada.

Fake hat jedoch schon immer eine großartige Gabe gehabt, skurrile Hommagen zu geben. Angefangen von seinem Debütalbum „Drowning in a Sea of Love“ aus dem Jahr 2006, das von Krautrock und Shoegaze beeinflusst war, bis hin zu „Blizzards“ aus dem Jahr 2020, das innovative Percussion als Schlüsselbezugspunkt nahm. „Crystal Vision“ bietet in der Tat eine Art kristallklare Vision und ist somit ein direkter Liebesbrief an die Verbindungen, die uns zusammenhalten. Fake webt ein Gefühl von Körper, Gemeinschaft und Verbundenheit.

‚The Grass‘ (feat. Wizard Apprentice) taucht uns sofort ein, mit seiner temperamentvollen Techno-Brillanz, die Bilder eines wild kaskadierenden Flusses heraufbeschwört und durch die eisige, beruhigende Stimme von Wizard Apprentice abgerundet wird. ‚Vimana‘ spielt mit interessanten Texturen, indem es Arpeggios auf den Kopf stellt, zerbricht und in Richtung Italo Disco lenkt, aber dann einen Linksschwenk zum Trance macht. ‚Boss Core‘ mit seinen quakigen Klängen, Synthesizern und Drum Machines erinnert an Elemente von Autechre, die auch im Titeltrack eine geistige Referenz finden, mit seiner angenehm klimpernden, romantischen Melodie.

Das minimalistische ‚CMD‘ ist ähnlich romantisch in seiner Konzeption, es ist verträumt in seinem nostalgischen Gefühl und in der Art, wie wir kommunizieren und uns verbinden. Die selbst beschriebene „Power-Ballade“ ‚Bibled‘ mit ihren klassischen Breakbeats lässt ebenfalls die Vergangenheit aufleben und ruft die Geister des Doo-Wop und Trance herbei – Trance-Wop? Mit Akkorden und Klängen, die fast zeitlos wirken, ist es verstörend, ein eleganter melancholischer Edelstein. Das Chicago House von ‚Hawk‘ ist ebenso desorientierend, während es sich um mächtige Square-Wave-Synthesizer und glitchige Drums bewegt.

‚AMEN 96‘ ist meisterhaft, eine Beschwörung, die nicht nur am Altar des Jungle kniet, sondern auch an Björks „Vespertine“ erinnert, mit seiner wunderschön zerbrechlichen Percussion und einer Melodie, die zu leuchten und zu schweben scheint. ‚Outsider‘ (feat. Clark) ist eine intensive, epische Kollaboration mit stotternden Beats, die durch eine hallende Atmosphäre fluten und uns zurück in eine Lichtung führen oder vielleicht eine Reinigung nach dem elektrischen/elektronischen Sturm darstellen. Diese Musik wird dich aus jedem Tiefpunkt herausholen. Sie ist gleichzeitig philosophisch und erschütternd für den Körper.