Im Universum der japanischen Mythologie sorgt Namazu, ein unterirdischer Fisch, für Erdbeben, wenn er aus der Kontrolle des Donnergottes Takemikazuchi entweicht. Doch im neuesten Film von Makoto Shinkai, „Suzume“, wird dieser mythologische Wels durch glühend rote Würmer ersetzt, die aus einer höllischen Unterwelt entkommen, um geographische Verheerungen anzurichten.
Jedoch ist „Suzume“ mehr als nur eine fantastische Katastrophengeschichte. Es ist eine tief bewegende Parabel über das Retten der Welt und das gleichzeitige Annehmen der Unvermeidbarkeit von Trauer. Die junge Protagonistin Suzume führt uns auf eine emotionale Reise durch ihr Land, von Miyazaki auf der Insel Kyushu bis nach Tōhoku, dem Ort ihrer Geburt und Schauplatz des verheerenden Erdbebens von 2011, bei dem sie ihre Mutter verlor.
„Suzume“ ist jedoch nicht nur ein Spektakel des Leids. Shinkai führt uns auf eine spirituelle Reise durch das Herz eines Landes und erforscht dabei, wie wir mit der Nostalgie für ein verlorenes Zuhause und dem Schmerz über verlorene Lieben umgehen, wenn beides durch die unausweichliche Kraft einer unsichtbaren Macht zerstört wurde. Durch die Verbindung von Suzumes persönlicher Entwicklung mit dem kosmischen Streben nach Versöhnung erreicht die emotionale Wucht dieses Films eine Intensität, die auf der Richterskala spürbar wäre.
Shinkai, bekannt für seine bildgewaltigen Werke, bietet uns mit „Suzume“ eine humorvolle und zugleich tiefgreifende Geschichte, in der die junge Heldin zusammen mit ihrer Jugendliebe Souta versucht, Japan vor weiteren Katastrophen zu bewahren. Dabei bewegt sich der Film auf einem schmalen Grat zwischen phantastischem Abenteuer, jugendlichem Drama und aufrichtiger Auseinandersetzung mit Verlust und Trauer.
Die Darstellung der verschiedenen Städte und Landschaften, die die beiden auf ihrer Reise durchqueren, ist atemberaubend detailliert. Die malerische Animation von Kenichi Tsuchiya fesselt das Publikum und lässt es in Shinkais Welt eintauchen. Dabei gelingt es dem Film, trotz der grandiosen visuellen Inszenierung, die Charaktere glaubhaft und authentisch darzustellen.
Die musikalische Untermalung von Shinkais Stammkomponisten, den Radwimps, zusammen mit Kazume Jinnouchi, ist passend episch und gibt dem Film die notwendige klangliche Weite. Sie trägt dazu bei, die filmische Erfahrung zu einem Erlebnis zu machen, das auf der größtmöglichen Leinwand genossen werden sollte.
„Suzume“ ist der erste Anime-Film seit „Spirited Away“, der im Wettbewerb der Berlinale steht, und obwohl der Vergleich mit Studio Ghibli nahe liegt, beweist Shinkai erneut seine Einzigartigkeit als Regisseur. Mit „Suzume“ hat er ein beeindruckendes Epos geschaffen, das gleichermaßen der Schönheit der Natur, der inneren Welt junger Mädchen und den Emotionen, die uns alle bewegen, huldigt.