Solange Religion so von Queerness besessen ist, müssen queere Künstler*innen sich mit Religion auseinandersetzen. Obwohl das Klischee des versteckten Fanatikers mittlerweile ausgereizt ist, scheint jede Glaubensgemeinschaft ihren eigenen heimlichen queeren Liebesfilm haben zu wollen. Natürlich gibt es viel sapphischen Spaß in der Verqueerung von Ritualen, Opfern und Selbstkasteiung, wie die sinnliche Spannung in neueren Filmen wie „Disobedience“ oder die skandalöse Ketzerei von „Benedetta.“ Ernstere Beiträge zu diesem Subgenre sind beispielsweise „Boy Erased“ und „The Miseducation of Cameron Post“ aus dem Jahr 2018, die sich mit dem Thema der Konversionstherapie auseinandersetzen.
Inmitten eines solch dichten Feldes sticht das Jehovahs-Zeugen-Drama „You Can Live Forever“ kaum hervor, abgesehen davon, dass es einen Einblick in eine der weniger erforschten religiösen Sekten gewährt. Obwohl der gut gemachte Film die einzigartige regionale Kulisse für einige bewegende Momente nutzt, bietet sein geradliniger Ansatz zum abgenutzten Terrain wenige Überraschungen. In den 1990er Jahren in Québec angesiedelt, erzählt „You Can Live Forever“ die Geschichte eines Teenagermädchens, das sich in eine gläubige Jehovahs Zeugin verliebt, nachdem es zu einer religiösen Verwandtschaft geschickt wurde. Geschrieben und inszeniert von Sarah Watts und Mark Slutsky und basierend auf Watts‘ eigenen Erfahrungen, wird „You Can Live Forever“ wahrscheinlich nur bei Zuschauern mit einer persönlichen Verbindung zum Thema Anklang finden.
Die Geschichte handelt von der Teenagerin Jaime (Anwen O’Driscoll), einer Einzelgängerin, die Siouxsie and the Banshees hört und im Zug kifft. Nach dem Tod ihres Vaters schickt ihre Mutter sie vorübergehend zu ihrer Tante Beth (Liane Balaban) und ihrem Ehemann Jean Francois, beide gläubige Jehovahs Zeugen. Obwohl Beth liebevoll und im Allgemeinen gelassen erscheint, stellt sie klar, dass der Besuch der Kirche, oder „Versammlung“, nicht verhandelbar ist. Trotzdem sie ihren schwarzen Pullover und ihre Jeans gegen ein biederes Blumenkleid eintauschen muss, bekommt sie den prüfenden Blick von Marike (June Laporte), der Tochter des Predigers.
Marike ist eine wahre Gläubige, und ihre religiöse Inbrunst wird nur von ihrem leidenschaftlichen Wunsch übertroffen, Jaime zu ihrer neuen besten Freundin zu machen. Sie lädt Jaime zum Abendessen ein, beidem ihre Familie versucht, Jaime von „der Wahrheit“ zu überzeugen. Obwohl Jaime skeptisch bleibt, ist ihr Interesse an Marike stärker, und sie geht sogar von Tür zu Tür, um mehr Zeit mit ihr zu verbringen. Während mehrerer Übernachtungen kuscheln sie und kommen sich näher, geschützt vor Verdacht durch den Mantel religiöser Naivität.
In trügerischer Sicherheit und geblendet von der ersten Hormonschübe werden sie immer kühner. Als sich eine vollwertige Romanze entwickelt, ist es nur eine Frage der Zeit, bis jemand etwas bemerkt. Die Bestrafung fällt nicht so hart aus, wie sie hätte sein können, und „You Can Live Forever“ verzichtet glücklicherweise auf einige der extremeren Klischees religiöser Dramen. Der Film versteht, dass das wahre Drama, die Tragödie eines jungen Menschen, der sich aus Glaubensgründen die Liebe verweigert, keiner Übertreibung bedarf. Marikes Hingabe an „die Wahrheit“ schwankt nie, und ihre Geschichte endet, wo Jaimes beginnt.
Obwohl die Handlungsstränge recht vorhersehbar sind und die Dialoge bisweilen klischeehaft wirken, gelingt es „You Can Live Forever“, die weiten kanadischen Landschaften und spezifischen Zeitdetails in eine stimmige visuelle Sprache zu verwandeln. Ein gezielter Schnitt zu grünen Wackelpuddingwürfeln beim Abendessen bietet einen humorvollen Moment, und die imposanten Küstenlandschaften und üppigen Grünflächen bilden den idealen Hintergrund für eine große Liebesgeschichte. In Ton und Thema fühlt sich der Film passend zu seinem 1992er Setting an; er mag allzu treu sein, doch die handwerkliche Leistung beeindruckt. Dennoch unterscheidet ihn von früheren queeren Filmen lediglich ein paar dampfende, keusche Knutschereien und heimliche Schäkerszenen auf dem Rücksitz eines Autos.
Die schauspielerischen Leistungen schwanken in Glaubwürdigkeit und Anziehungskraft, doch die Hauptdarstellerinnen haben genug Chemie, um die aufrichtige Teenager-Romanze glaubhaft zu machen. Jaime strahlt in Szenen mit ihrem nicht-religiösen Freund Nathan (Hasani Freeman), der sie mit seiner natürlich verspielten Art auflockert. Trotz ihrer gemeinsamen Kiffer-Videospiele-Sessions, die einen Großteil der Persönlichkeitsentwicklung Jaimes übernehmen, bleibt sie eine eher undurchsichtige Protagonistin, auf die sich die Geschichte projizieren lässt. Dennoch ist sie sympathisch genug, dass ihre Entscheidung, ihr Leben selbstbestimmt zu führen, als Triumph empfunden wird. Ihre Hingabe an ihre eigene Wahrheit schwankt nie, und ihr Geist kann in diesem Wissen Frieden finden.